Tagebuch der Eltern

Unser einsamer Kampf gegen den Tod

An einem sonnigen Frühlingstag kam unser übereilter kleiner Schatz drei Wochen zu früh auf die Welt. Und das erste was sie uns, in der Obhut des kleinen Familienzimmers angekommen schenkt, ist ein Lächeln.
Sie konnte ihre Augen nicht aufhalten - so müde war sie, doch es reichte aus, um bei uns Tränen des Glücks heraufzubeschwören. Schon da sahen wir den kleinen, dunklen Fleck auf ihrer Lippe, haben dem aber noch keine Bedeutung beigemessen.

Vier Tage später verlassen wir mit unserem Sonnenschein das Krankenhaus und bekommen bei der ersten U-Untersuchung beim Kinderarzt die Hiobsbotschaft: Sie hat einen Tumor an der Lippe - das sogenannte Lippenhämangiom - und nur eine funktionierende Niere. Da das Kind schwächer ist, als vergleichbare Säuglinge misst man ihr 6 Monate Lebenszeit bei.

6 Monate!!! Weniger Zeit, als die Schwangerschaft. Unser Leben wird bis in die Grundangeln erschüttert. Ja, wir haben noch ein gesundes Kind, ihre große Schwester Nicolle - doch auch Alice ist längst ein fester Bestandteil unserer Familie. Also sagen wir den gutartigen Krebszellen den Kampf an und beten tagtäglich, dass die alleingelassene Niere wächst. Dies ist unsere Geschichte ...


Nach der ersten U-Untersuchung bekamen wir eine Überweisung an die SLK Klinik in Heilbronn, wo wir stationär aufgenommen wurden und man die Propranolol-Therapie eingeleitet hat. Dies ist ein Teufelszeug, welches sowohl auf den Kreislauf, wie auch auf die Darmtätigkeit schlägt. Die unschönen Details erspare ich Euch. Wichtig ist nur, dass es den Wachstum erheblich gehemmt hat und wir wieder durchatmen konnten.

Nach den ersten sechs Monaten, in denen wir Alice gehegt, gepflegt und mit Propranolol behandelt haben, wurden die Prognosen relativ harmlos. Es hieß, dass ein Hämangiom bis zum Schulalter verschwindet und dass sie trotz der fehlenden Niere steinalt werden kann. Nur hatte ich meine Zweifel und wie es sich noch ein paar Monate später herausgestellt hat, waren diese berechtigt. Das Medikament wirkte negativ auf ihre Niere und sie setzte, bei jedem Wachstumsschub, dem wir anfangs entgegengefiebert haben, am ganzen Körper Wasser an. Sowohl wir, wie auch die Ärzte waren ratlos.
Sollten wir ihren Wasserkonsum einschränken?
Oder eher steigern?
Jede Erkältung könnte die letzte sein, hieß es dann plötzlich seitens der Ärzte. Und die ständige Angst zog dauerhaft in unserem Haus ein. Unsere ältere Tochter musste fortan immer dann aus dem Kindergarten genommen werden, sobald jemand krank wurde. Und auch wir mussten uns warm einpacken.

Erschwerend kam hinzu, dass Alice wegen dem Wasserhaushalt sowohl Decken, wie auch Strumpfhosen gehasst hat. Sie erwachte jeden Morgen schweißgebadet und es kam, wie es kommen musste: Wir setzen die Therapie durch Propranolol ab. Immerhin gab es die Hoffnung, dass das Hämangiom bald "abschwillt" und schlussendlich ganz verschwindet.


In den darauffolgenden zwei Jahren versuchen wir es immer wieder mit Kurzzeittherapien, die bringen aber rein gar nichts. Das kapilläre Hämangiom wird zu einem kavernösem und bei dem stehen die Chancen auf eine spontane Rückbildung gleich NULL. Mehr noch, es kommt zu Komplikationen und es bilden sich Thromben. Spontane Blutungen, die mit einem enormen Stress für das verängstigte Kind verbunden sind - sind die Folgen.

Um sich eine solche Ausblutung des Hämangioms vorstellen zu können, stellt Euch vor, jemand kommt mit einer offenen, pulsierenden Halsschlagader auf euch zu gerannt. Es fließt in strömen und man kann es nicht stoppen. Die Folge davon ist eine Dehydrierung und anschließende Wasseranlage. Es ist immer wieder ein Kraftakt so etwas zu überstehen.

Wir befinden uns seit über einem Jahr in einem Teufelskreis - bekämpfen wir den Tumor, beschädigen wir die Niere. Helfen wir der Niere, durch eine höhere Wasserzufuhr, blutet die Lippe aus.
Jetzt könnte man meinen, wir müssten nur auf die Suche nach einem Spezialisten gehen und der bringt es in Ordnung. Tja, das dachten wir anfangs auch. Jedoch leben wir in einem Staat, wo auf die Gesundheit eines Einzelnen, gelinge gesagt, gepfiffen wird. Wir wurden tatsächlich fündig, aber der gute Mann lebt und arbeitet nicht in Deutschland. Er kommt aus Frankreich. Und noch bevor wir ihn kontaktieren konnten, machte uns unsere Krankenkasse darauf aufmerksam, dass eine andere Methode außer der Lesertherapie (die bei Alice aufgrund der Größe des Hämangioms nicht anwendbar ist) oder der Propranololgabe, keine Kassenleistung ist. Selbst der Wechsel zu einer anderen Kasse bringt gar nichts. Die Behörden (Jugendamt und Jugendsozialhilfe) sind ratlos und zucken lediglich die Schultern, wenn wir mit unserem Anliegen bei ihnen ankommen. Und die Wartelisten für eine Spenderniere sind so lang, dass man uns eine Wartezeit von sage und schreibe 15 Jahren vorausgesagt hat.
Was nun?
Ja, was nun? Wir haben alles gedreht und gewendet, kommen aber nicht auf einen gemeinsamen Nenner.
Fakt ist, wir brauchen Geld für eine Behandlung. Und wenn es hart auf hart kommt (was bei uns irgendwie immer der Fall zu sein scheint) auch noch eine Niere. Ich selbst kann leider nicht arbeiten gehen, weil für Alice immer jemand da sein muss. Mein Mann arbeitet bereits über 12 Stunden am Tag.
Wie und woher sollen wir das hernehmen?
Selbst ein Tausender tut uns - wie allen anderen - schon sehr weh.
Ich für meinen Teil beschließe, meine eigene Niere für eine Organtransplantation bereitzustellen. Allerdings hatte auch ich einen Nierenstau bei der ersten Schwangerschaft.
Mäßige Präeklampsie, daraus resultierend eine kaputte Niere und bei der zweiten Schwangerschaft von Anfang an Risikopatientin. Dennoch finde ich einen Arzt, der mein Anliegen versteht, mir im Augenblick dabei hilft, die Niere wieder in Gang zu setzen, damit ich die gesunde Niere meiner Tochter spenden kann. Einziges Manko: Erst wenn sie sieben Jahre alt ist (wenn überhaupt) gibt es in ihrem Körper genug Platz, um die Niere einzupflanzen. Somit bin ich mit meinem Latein am Ende. Könnte ich etwas geben oder verkaufen, um sie bis dahin am Leben zu erhalten, würde ich das auf der Stelle tun. Nur leider habe ich selbst nichts.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, jetzt zu bereuen, dass ich so vielen Menschen aufrichtig gerne geholfen habe, anstatt das Geld für die Behandlung meiner Tochter zu verwenden. Einige von denen, die mich wie eine faule Kartoffel zur Seite gekickt haben, werden sich sicherlich an meinem Leid und der aufgebrachten Dummheit weiden. Aber es gibt bekanntlich zwei Kehrseiten bei einer Medaille und meine positive ist die, dass es dennoch genug Menschen gibt, die meiner Tochter helfen wollen.

Ja, es ist tragisch, dass Geld in unserer Gesellschaft so eine gravierende Rolle spielt. Dennoch kann ich mich glücklich schätzen, einige Leute zu kennen, die einen in der Stunde der Not nicht im Regen stehen lassen. Hierbei spreche ich ihnen auch meinen tiefsten Dank aus. Mein Leben wird lebenswerter durch Eure Taten!



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